Ich finde: Frühling sollte es auf Rezept geben. Denn ich bin sicher, wenn jeder Mensch auf dieser Welt jeden Morgen eine kleine Pille Frühling schlucken würde, ein ganz kleines bisschen reicht schon, ein wenig lauer Wind, Sonne, die zum ersten Mal wieder wärmt, Blüten, die urplötzlich farbig explodieren und die Welt zu einem besseren Ort machen, Wiesen, die ihre Farbe magisch von grau-braun zu leuchtend grün wechseln, Regen, der zum ersten Mal wieder nach Frühling riecht, nach angewärmtem Asphalt und Chlorophyll, und dann das Summen der Bienen, die ihre Arbeit wieder aufnehmen, wenn man das in kleinen Dosen täglich zuführen würde, es gäbe viel weniger Leid auf der Welt. Denn Frühling macht glücklich und glückliche Menschen sind gesünder und netter und überhaupt einfach besser. Und deshalb war ich letztes Wochenende lange spazieren. Um gesünder und netter und besser zu werden. Das schadet nämlich nie. Solltet Ihr auch mal probieren.

Jedes Jahr aufs Neue bin ich erstaunt, wie sehr der Beginn des Frühlings mich fertig macht. Im positiven Sinne natürlich. Klar, der Winter geht mir auch meistens auf den Sack, vor allem gegen Ende und wenn er so kalt und nass und grau und überhaupt eklig ist wie der letzte, dann noch mehr. Aber habe ich das Gefühl, deswegen schlechter drauf zu sein? Eigentlich nicht. Zumindest nicht so lange, bis der Frühling dann da ist. Denn dann merke ich, was für einen Unterschied es macht, ob der Himmel grau oder blau ist, ob ich das Fenster offen lassen kann oder es nach dem Lüften schnellstmöglich wieder schließe oder ob ich das Zwitschern der Vögel höre, wenn ich aus dem Haus trete, statt einem städtischen Streufahrzeug. Ich kann es kaum beschreiben, aber im Frühling wird meine Welt bunter, rein objektiv, aber auch subjektiv. Ich sehe sie bunter. Es fühlt sich an, als würde mein Herz wachsen und sich in meiner Brust ausbreiten. Es fühlt sich an, als würde ich Liebe atmen. Das ist vermutlich der übelste Kitsch, den ich jemals von mir gegeben habe. Aber das ist ja wohl der beste Beweis für die glücksbefördernde Wirkung des Frühlings.

Der Frühling macht mit mir, dass ich Pläne und To-Do’s Pläne und To-Do’s sein lasse und zum Freund sage: „Lass uns rausgehen. Lass uns die große Runde drehen. Lass uns durch den Westfalenpark zu Phoenix West spazieren und von da zum Phoenixsee, um ein Eis zu essen.“ Und das sage ich, obwohl ich seit über fünf Wochen krankgeschrieben bin, die meiste Zeit davon auf dem Sofa verbracht habe und froh war, wenn ich mal eine Stunde draußen umhergelaufen bin, ohne mich hinterher zu fühlen, wie unter eine Planierraupe geraten. Ich plane einen Spaziergang, der uns locker drei bis vier Stunden „kosten“ wird, der mir wahrscheinlich alle meine körperliche Energie nimmt, mir aber so viel zurückgibt, allein schon bei dem Gedanken, dass ich kein zweites Mal darüber nachdenke, sondern die Schuhe schnüre, nur eine dünne Jacke über meine Tasche werfe und schon mit meiner Kamera in der Tür stehe, bevor der Freund auch nur antworten kann.

Gefühlt halb Dortmund ist an diesem Samstag auf den Beinen, was zweierlei beweist: 1) Meine Frühlingsglück-Theorie ist richtig und 2) meine Frühlingsglück-Theorie ist so unfassbar profan, dass man sie eigentlich niemandem mehr mitteilen muss, denn die Menschen kommen selbst darauf. Man sollte mal untersuchen, inwieweit der Krankenstand und die Verbrechensstatistiken mit dem Einsetzen des Frühlings korrelieren. Ließe sich der Frühling tatsächlich konservieren und in Tablettenform verabreichen, wäre das sicher einen Friedensnobelpreis wert. Oder funktioniert die heilende Kraft des Frühlings etwa nur mit vorhergegangenem Winter? Vielleicht müsste der ebenfalls pulverisiert und in die Pille gepresst werden. Sozusagen als 2-Phasen-Präparat.

Das Beeindruckende am Frühling: Er wirkt gefühlt bei jedem. Die Wiesen des Westfalenparks sind voll mit Decken. Da sind junge Paare und Freunde, die Kubb spielen oder die Frisbee rausholen. Frischgebackene Familien mit Kinderwagen schlendern einträchtig nebeneinander durch den Park und die Spielplätze stehen vor Kindergeschrei und verschmierten Mündern. Da sind die Fotografen, so wie wir, die vor den Beeten und Streuwiesen hocken und jede Blüte einzeln dokumentierten. Die Bänke im Park sind vollbesetzt (naja, fast), die Terrasse des Cafés an den Wasserbecken sowieso, hier trifft sich die eher gesetztere Kundschaft, und im Spatengarten, dem lokalen Biergarten, qualmen schon die ersten Steaks der Saison auf dem Schwenkgrill und mischen sich mit dem Stimmengewirr und dem Gläserklirren. Auf dem Gelände von Phoenix West treffen sich dann die Hundebesitzer, die Drachenflieger und Drohnenpiloten, die Tunerszene hat auch schon angegrillt und die Fahrradausflügler trinken bei der Bergmann-Brauerei ein Bier in der Sonne. Wir ebenfalls und das obwohl wir zu Fuß gekommen sind. Mit den Fahrradfahrern und Inline Skatern teilen wir uns dann auch den Weg zum Phoenixsee, wo die Hörder Jugend ihre Mitmenschen mit Musik (oder was sie dafür hält) aus Handylautsprechern oder mobilen Boxen unterhält, wo Pumper sich ein Proteineis holen (ja, das gibt es wirklich), wo Kinder aller Nationalitäten Enten füttern, obwohl man das nicht soll, wo sich der halbe Dortmunder Süden ein ziemlich teures Steak im „Pfefferkorn“ leistet und der Rest lieber eine Trüffelpommes mit Parmesan bei „Wurst mit Soße“ und wo Fußball-Prominenz und anderes, „junges Geld“ das bunte Treiben aus gläsernen, kubusförmigen Neubauten und den dazugehörigen Gärten beobachtet, die alle irgendwie gleich aussehen. Ich mag das alles.

Wieder zuhause bin ich platt. Also so richtig richtig. Selbst reden ist mir zu anstrengend. Aber ich bin glücklich. Ich hatte eine große Dosis Frühling und die wirkt lange nach. Sie trägt sogar dazu bei, dass ich zwei Tage später beim Arzt vorstellig werde und mit ihm über eine Wiedereingliederung in meinen Arbeitsalltag spreche. Ab morgen bin ich also wieder im Büro. Erstmal nur 50% der üblichen Zeit (und selbst das fand mein Arzt „mutig“), aber es ist ein erster Schritt und ich bin motiviert, ihn zu gehen. Ich hoffe, es ist der richtige, aber das finde ich nur heraus, indem ich ihn mache. Noch ist mein Hirn schnell Mus und mein Körper noch ein Sensibelchen, aber ich bin sicher, dass es mir auch hilft, wieder auf die Beine zu kommen, wenn ich beide ein wenig fordere. Nicht zu viel, aber genug. Und der Frühling wird mir dabei helfen. Drückt mir die Daumen :)!

Was wollte die Autorin uns mit diesem Post sagen? Und wo bleibt der vielbesungene „Mehrwert“? Überraschung: Es gibt keinen. Aber wisst Ihr was: Scheiß drauf ;)! Vielleicht schafft es meine virtuelle Dosis Frühling ja trotzdem ein bisschen Glück zu transportieren, Euer Herz zu weiten und ein wenig Liebe durch Euren Körper strömen zu lassen (Yeah, Kitsch-Gänsehaut ;)). Das ist viel günstiger und nebenwirkungsfreier als eine Pille. Gibt es von mir gratis. Und diese Weisheit lege ich noch obendrauf: Der echte Frühling vor der Tür lässt sich damit nicht ersetzen. Deshalb: Reißt die Fenster auf und schnürt die Schuhe und erlebt ihn selbst. Und werdet ebenfalls glücklicher, gesünder, netter und besser. Das kann die Welt brauchen. Und Ihr sicher auch. Wort zum Sonntag: Ende.