Am letzten Mittwoch im Mai ist jedes Jahr Welt-MS-Tag – und damit (fast) der einzige Tag im Jahr, an dem ich meine Krankheit explizit auf dem Blog fokussiere. Vor vier Jahren habe ich damit begonnen, indem ich erstmals über meine Multiple-Sklerose-Erkrankung gesprochen habe, und seither eine kleine Tradition daraus gemacht. Da ich immer noch und immer wieder Mails von Lesern bekomme, die Fragen zu dem Thema haben, habe ich mir überlegt, dieses Jahr einen Q&A-Post zum Thema MS schreiben. Denn oft merke ich, dass es Dinge sind, auf die ich nie käme, die Euch interessieren.
Ich habe daher auf Facebook und Instagram Eure Fragen gesammelt – Fragen, die sich entweder auf mich beziehen oder aber ganz allgemein auf die Krankheit. Ich habe sie alle aus meinem ganz persönlichen Blickwinkel beantwortet, denn ich bin kein Experte, sondern vor allem Betroffene. Wenn Ihr weitergehende Fragen habt, könnt Ihr sie gerne in den Kommentaren stellen und ich werde mich bemühen, sie zu beantworten. Eventuell nicht direkt, aber mit etwas Zeit ganz sicher. Hier aber erst einmal diejenigen, die ich bereits beantwortet habe: die Fragen sind fettgedruckt, meine Antworten schließen an. Ich hätte überall noch viel mehr schreiben können, aber fürs Erste solltet Ihr einen Eindruck bekommen – ein Roman ist es so oder so mal wieder geworden …
Ich habe mit der Krankheit keine Berührungspunkte und weiß sehr wenig darüber. So wie der Volksmund (vor allem vor 10-20 Jahren) darüber sprach, klang das für mich immer wie eine Krankheit, mit der man irgendwann nicht mehr selbstständig leben kann, also ein enormer Schicksalsschlag. Wie „gut“ und lange lebt man denn mit den Medikamenten? Wie sind die Beeinträchtigungen/Schmerzen? Ist ein Leben im Rollstuhl aufzuhalten?
Das ist eine sehr umfangreiche Frage, deren Antworten ich hier erstens nur anreißen kann und die andere vor allem viel besser und viel kompetenter beantworten können als ich. Für alle, die sich wirklich mal etwas intensiver damit auseinandersetzen möchten, empfehle ich als Einstieg die Informationsseiten der DMSG (der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft).
Die Lebensqualität von MS-Patienten ist (durchschnittlich betrachtet) in den vergangenen Jahrzehnten durch verbesserte Therapien stark gestiegen. Man nennt die MS jedoch „Krankheit mit 1000 Gesichtern“, was bedeutet, dass sowohl die Symptome, als auch ihre Ausprägung, der Krankheitsverlauf und die Schubhäufigkeit bei jedem Patienten anders sind. Manch einer hat vielleicht in seinem Leben nur zwei sehr leichte Schübe und daraus resultierend (zumindest nach dem Abklingen der akuten Schubsymptome) im Alltag keine oder kaum Beeinträchtigungen, andere wiederum sehen sich sehr schnell massiven Einschränkungen gegenüber. Da kann man also keine allgemeingültigen Aussagen treffen, außer die, dass man eben nichts verallgemeinern kann. Es gibt immer noch Menschen, die relativ schnell im Rollstuhl landen, und es gibt genauso auch Menschen, die nicht mehr selbstständig leben können – aber das ist bei weitem nicht die Mehrheit. Es gibt sogar viele MS-Patienten, die so gut mit der MS leben können, dass sie es schaffen, die Krankheit vor ihrem Umfeld zu verheimlichen. Warum sie das tun und ob das sinnvoll ist, ist eine andere Frage, aber solange ein Betroffener keine sichtbaren Beeinträchtigungen hat (und das trifft oft relativ lange zu), ist das möglich. Ich wage mal die Behauptung, dass die meisten unter uns mindestens einen MS-Patienten kennen, ohne von seiner Erkrankung zu wissen.
Behandlungen bei der MS gibt es grob gesagt dreierlei: die akute Schubtherapie mit Cortison, langfristige Therapien mit dem Ziel, die Schubhäufigkeit zu reduzieren (um circa 30%), und Möglichkeiten zur Behandlung von Symptomen. Nicht jeder Patient bekommt jede Therapie, nicht jeder bekommt die gleichen Wirkstoffe und nicht bei jedem wirken sie gleich oder gleich gut. Auch hier gilt wieder: Jeder Patient ist anders und jede Behandlung ist anders. Aktuelle Statistiken kann ich keine aus dem Hut zaubern, aber man kann (um gleich einmal die beiden größten „Vorurteile“ zu adressieren) sagen, dass auch viele Jahre nach der Diagnose die meisten Patienten noch gehfähig sind, viele sind es sogar ihr Leben lang. Und die Sterblichkeit von Patienten mit MS ist zwar etwas höher als bei „gesunden“ Patienten, aber auch nicht wesentlich.
Ein Schicksalsschlag (auch wenn ich das Wort doof finde), ist die MS mit Sicherheit trotzdem für die Allermeisten, ganz unabhängig davon, welche Symptome man hat und wie ausgeprägt sie sind – aber vor allem deshalb, weil man eben überhaupt nicht weiß, wie es mit einem weitergeht. Und dieser Umstand wirft wahrscheinlich bei den meisten Betroffenen viele Fragen über die Zukunft auf, die sich nicht (oder nicht so einfach) beantworten lassen.
Wie war dein erster Schub? Was hast du gedacht und wie bist du damit umgegangen? Und vor allem: Wie hast du es geschafft, stark zu bleiben?
Ich habe vor drei Jahren bereits ausführlich darüber berichtet, wie es vor sieben Jahren zu meiner Diagnose kam und welche Symptome ich damals hatte: vor allem Taubheit und Missempfindungen, hauptsächlich an den Händen, aber auch an den Füßen, an der Bauchdecke und auf der Kopfhaut. Begleitet wurde das Ganze von extremster Erschöpfung, Schwindel und Übelkeit und noch einem ganzen Haufen weiterer, eher nebensächlicher Symptome. Mein erster Schub war das aber wohl nicht, denn bereits Jahre vorher hatte ich eine circa drei Monate andauernde Episode, für die ich mich damals so geschämt habe, dass ich es nicht habe untersuchen lassen. Und ich habe darüber bisher auch noch nicht auf dem Blog gesprochen, weil es mir zu unangenehm war.
Eigentlich ist das aber albern und widerspricht allem, was ich immer predige: Nämlich, dass es wichtig ist, über die Krankheit zu sprechen, für sich, für andere Betroffene und vor allem für all die Menschen da draußen, die immer noch zu wenig über die MS wissen. Unter anderem eben auch, dass MS unzählige verschiedene Symptome mit sich bringen kann, nicht nur motorische. Sie reichen von Sehstörungen über Missempfindungen, Spastiken und sexuellen Funktionsstörungen bis hin zu Problemen mit der Blasenfunktion. Im Grunde kann alles betroffen sein, was irgendwie vom Gehirn oder Rückenmark gesteuert wird, denn hier liegen die Nervenbahnen, deren „äußere Schutzschicht“ von der Krankheit angegriffen wird. Und da die verschiedenen Funktionen des Körpers von verschiedenen (ich nenne es jetzt einfach mal) „Schaltzentren“ aus gesteuert werden, entscheidet der „Standort“ der Entzündungen, welche Probleme bzw. Symptome man bekommt. Und das kann das eine Mal eben auch etwas ganz anderes sein als das nächste Mal.
Bei mir war es (ich muss damals Mitte 20 gewesen sein) zuerst ein Problem mit der Blase. Wenn ich gehustet habe, gelacht habe oder aber auch einfach nur länger nicht auf der Toilette war, konnte ich nicht mehr vollständig einhalten. Das war drei Monate lang relativ extrem (und auch extrem unangenehm), danach wurde es jedoch wieder besser, so dass ich die Sache erleichtert abgehakt habe nicht zum Arzt gegangen bin. Erst als ich mich dann nach der Diagnose näher mit der MS und ihren möglichen Auswirkungen beschäftigt habe, habe ich mich erinnert und einen Bezug herstellen können. Und meine Neurologen haben diese Phase dann rückwirkend als Schub eingestuft. Auch heute noch sind meine Blase und ich nicht die besten Freunde: Ich muss leider ständig aufs Klo (man nennt es auch Reizblase), und wenn ich weiß, ich bin länger nicht in der Nähe einer Toilette, dann trinke ich zur Sicherheit nichts, weil meine Blase sonst definitiv nicht mitspielt.
Wie es mir anfangs mit der Diagnose ging und wie ich versucht habe, in der Folge damit umzugehen, habe ich ebenfalls bereits im oben verlinkten Post angerissen. Ich versuche die meiste Zeit, mir möglichst wenig Gedanken zu machen und alles so zu nehmen, wie es kommt. Das klappt in der Regel auch ganz gut. Allerdings habe ich einen relativ milden Verlauf und möchte mir nicht anmaßen, aus meiner Geschichte irgendwelche Ratschläge für andere Patienten, die es vielleicht schlimmer getroffen hat als mich, abzuleiten. Trotzdem glaube ich, dass es einem besser geht, wenn man sich, soweit es möglich ist, mit den Gegebenheiten arrangiert. Ändern kann man es ja leider doch nicht. Es wäre jedoch gelogen, zu behaupten, dass ich nie mit der MS hadere. Ich neige dann leider dazu, meine Ängste und Sorgen erst einmal mit mir herumzuschleppen, weil ich niemanden belasten möchte. Aber ich merke, dass es mir meist direkt wieder besser geht, wenn ich mich bei jemandem (in der Regel beim Freund) eine Runde ordentlich ausgeheult habe.
Wie geht es dir im Moment? Was sind deine körperlichen Beschwerden?
Wie schon gesagt habe ich das Glück eines milden Verlaufs. Neue Symptome hatte ich schon seit Jahren keine mehr, allerdings treten unter Belastung und Stress (beides kann sowohl körperlich als auch seelisch bedingt sein) immer wieder meine alten Symptome auf. Ich habe einen sehr großen Herd auf Höhe des vierten Nackenwirbels, der wenig Raum außenherum lässt, um die Nervenimpulse weiterzuleiten. In Belastungssituationen gibt es so eine Art „Informationsstau“, das Nervensystem kommt nicht mehr hinterher, alle Anforderungen auszuführen, und die Körperfunktionen, die ohnehin schon gelitten haben, fallen als erstes wieder hintenrüber. Dann werden vor allem sehr schnell meine Hände taub und ich erschöpfe noch mehr, als ich es ohnehin schon tue. Ein Symptom, was nämlich sehr viele MS-Patienten unabhängig von Schüben haben, ist die sogenannte Fatigue, eine abnorme Erschöpfung, die den Kräftehaushalt des Betroffenen phasenweise oder dauerhaft extrem einschränkt. In dem Post, in dem ich vor vier Jahren das erste Mal über meine Erkrankung gesprochen habe, habe ich auch ein wenig über die Fatigue erzählt. Wenn Ihr Interesse habt, kann ich das bei Gelegenheit auch noch mal ausführlicher behandeln …
Welche Einschränkungen hast du in Bezug auf Sport, Freizeit und Reisen?
Dem Reisen mit MS habe ich schon mal einen sehr ausführlichen Post gewidmet, auf den ich hier einfach mal verweise. Vieles von dem, was ich dort beschreibe, trifft natürlich auch zu Hause zu. Insgesamt ist es so, dass mein Sozialleben durch die MS durchaus eingeschränkt ist. Ich brauche sehr viel Zeit für mich, um mich zu regenerieren. So doof das klingt: Menschen und soziale Kontakte sind leider für mich mit das Anstrengendste, was mir passieren kann. Unter der Woche nach der Arbeit mache ich eigentlich so gut wie nie etwas und wenn dann nur mit dem Freund. Alles andere ist extrem selten. Und auch am Wochenende beschränke ich mich in der Regel auf eine Verabredung oder Aktivität, um mich nicht zu überfordern. Meist halte ich die Situationen an sich zwar ganz gut durch (zumindest wirkt es von außen so), aber irgendwann kann ich dann nicht mehr und von einem auf den anderen Moment bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Das führt dazu, dass ich vor allem im Anschluss ordentlich in den Seilen hänge und das Sofa kaum verlasse.
Sport hingegen sollte ich viel öfter machen, als ich es tue, was im Moment auf so ziemlich nichts herauskommt. Mir fehlt leider schon die Energie, um mich nur aufzuraffen. Davon hätte ich vermutlich mehr, wenn ich Sport machen würde, aber da beißt sich die Katze eben in den Schwanz. Grundsätzlich kann ich eigentlich alles machen, allerdings werden, wie schon gesagt, bei körperlicher Belastung meine Hände oder Füße oft taub und dann ist vieles nicht mehr so angenehm. Funktionieren tun sie zwar noch, aber ich spüre sie nicht und das fühlt sich echt eklig an. Laufen habe ich deshalb zum Beispiel völlig drangegeben. Außerdem habe ich einen recht schlechten Gleichgewichtssinn, was manche Bewegungen erschwert, und Kraft habe ich sowieso nur in begrenztem Ausmaß. Aber ich will es demnächst mal wieder mit Yoga probieren. Und für meine #FürmehrersteMale-Aktion plane ich, einen Kletter-Schnupperkurs zu besuchen. So, jetzt habe ich es laut gesagt, jetzt muss ich das wohl auch machen ;)!
Gibt es Prognosen zu deinem Verlauf für die nächsten 5/10/15 Jahre?
Am Anfang wurde mir gesagt, dass der Verlauf innerhalb der ersten 5 Jahre symptomatisch für den weiteren Verlauf der Krankheit ist. Und wenn es danach geht, habe ich mit meiner niedrigen Schubfrequenz eigentlich ganz gute Aussichten. Toi toi toi. Man kann es nie wissen, sondern nur hoffen, aber ich bin da einfach mal optimistisch.
Wie sieht deine Medikation derzeit aus?
So wie ich es auch in einem älteren Post schon mal beschrieben habe. Als schubreduzierende Therapie spritze ich Copaxone – früher musste ich das jeden Tag machen, aber zum Glück kam vor zwei Jahren eine höhere Dosierung auf den Markt, so dass ich nur noch drei Mal die Woche spritzen muss. Der Wirkstoff zerstört zwar mein Unterhautfettgewebe, was ziemlich scheiße ist, aber sonst komme ich mit der Spritzerei ganz gut klar. Es nervt mich zwar, oft genug habe ich keine Lust und manchmal tut es auch weh, aber ich habe keine grundsätzliche Angst vor Nadeln und konnte mich schnell überwinden, mich selbst zu spritzen. Ansonsten nehme ich noch Piracetam, um meine (geistige) Erschöpfung, die ansonsten ziemlich ausgeprägt ist, zu reduzieren, und Gabapentin gegen neuropathische Schmerzen. Mit der Hilfe von diesen beiden Präparaten halte ich meinen Arbeitsalltag gut durch und kann meine Hände meist problemlos benutzen. Ich merke es allerdings direkt, wenn ich die Tabletten mal vergesse, dann bricht meine Leistungsfähigkeit enorm ein.
Mich würde interessieren, ob du dich schon mal mit spezieller Ernährung befasst hast (Autoimmun-Paleo zum Beispiel), die Entzündungen im Körper reduzieren soll. Und wenn ja, welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Ich habe mich in der Theorie damit beschäftigt, mich aber persönlich dagegen entschieden. Durch meine Essstörungs-Vergangenheit bin ich sehr empfindlich, was auch nur den Gedanken an eine künstliche Beschränkung meiner Nahrungsaufnahme angeht, und ich möchte mich einfach nicht wieder permanent mit Essen beschäftigen müssen. Das habe ich zu viele Jahre gemacht. Dadurch, dass es mir aber wie gesagt vergleichsweise gut geht, ist der Leidensdruck vielleicht auch noch nicht groß genug. Möglicherweise würde ich das anders sehen, wenn es mir schlechter ginge. Ob und welche Methode ich dann testen würde, kann ich aber nicht sagen. Ich halte es grundsätzlich mit einer halbwegs ausgewogenen Ernährung, dazu zählen viel frisch Gekochtes und wenig Fertigprodukte – ich verbiete mir aber auch nichts. Ich glaube, dass ich mittlerweile sehr gut weiß (oder besser gesagt: spüre), ob etwas gut für mich ist oder nicht. Und wenn ich das merke, dann habe ich auch kein Problem damit, darauf zu verzichten – so wie beim Alkohol.
Kann man mit der Krankheit arbeiten?
Natürlich kann man das. Man kann damit theoretisch genauso arbeiten, wie jeder andere auch. Viele MS-Patienten gehen einer ganz normalen Arbeit nach. Je nach Ausprägung der Krankheit gibt es natürlich Einschränkungen, was man machen kann und wie lange man arbeiten kann – das hängt aber maßgeblich von den Symptomen und vom eigenen Krankheitsverlauf ab. Ich könnte jetzt zum Beispiel nichts mehr machen, wofür ich schwindelfrei sein müsste. Andere können nur noch Teilzeit arbeiten, weil sie nicht mehr genug Kraft haben, manche müssen sich auch frühberenten lassen. Aber auch hier kann man keine allgemeingültigen Aussagen treffen, vieles muss man einfach ausprobieren oder sich nach einer Krankheitsepisode neu herantasten. Ich dachte zum Beispiel lange, dass ich nicht die Kraft für einen 40-Stunden-Job hätte und habe mich selbst damit überrascht, dass ich es gut wegstecke. Zwar habe ich danach nicht mehr viel Energie übrig, aber solange ich vor Ort auf der Arbeit bin, mache ich meine Arbeit genauso gut wie meine Kollegen.
Durch deine MS kommt es meines Wissens nach oft zu Erschöpfungszuständen (Fatigue) und du ziehst dich dann zurück. Wie vereinbarst Du das mit deinem 40 Stunden Job? Tritt das dort überhaupt auf und wenn ja, wie verhältst Du dich dann? Und wie verhalten sich deine Kollegen Dir gegenüber?
Ich ziehe mich natürlich nur in solchen Situationen zurück, wo es mir möglich ist. Die Arbeit gehört in der Regel nicht dazu, obwohl die Fatigue dort genauso auftreten kann und auch auftritt wie in jeder anderen Lebenssituation. Wenn es ganz extrem ist (was aber nur selten vorkommt), gehe ich eine Runde an die frische Luft, aber meist schaffe ich es gut über den Tag. Ich habe halt begrenzte Energiereserven und die nutze ich unter der Woche hauptsächlich für die Arbeit. Aber ich bin auch in der vorteilhaften Situation, hauptberuflich zu schreiben, etwas, das meist alleine am Computer stattfindet und wofür ich mir meine Zeit frei einteilen kann. Schreiben ist etwas, wofür ich nicht so viel Energie brauche und was mich kaum jemals an meine Grenzen bringt. Ganz im Gegenteil. Ansonsten gäbe es diesen Blog wohl auch nicht mehr ;)! Eher ist es schon so, dass es zum Beispiel die Temperaturen im Büro sind, die mich fordern. Gerade wenn es sehr heiß ist, leide ich unter meinen Symptomen und das erschwert dann auch meine Arbeit.
Meine Chefin und die allermeisten meiner direkten Kollegen wissen von der MS. Das ist nichts, womit ich hausieren gehe und worüber ich permanent reden möchte, schließlich ist es nur ein Teil von mir und nichts, was auf der Arbeit eine Rolle spielen sollte. Aber mir war es wichtig, einmal davon zu erzählen, damit, falls es doch mal MS-bedingte Umstände gibt, die meine Arbeit beeinflussen, ich das auch sagen kann und nichts anderes erfinden muss. Ich weiß, dass viele Patienten nicht gerne auf der Arbeit von ihrer Erkrankung erzählen möchten, weil sie Angst vor Diskriminierungen haben, und ich habe mir die Entscheidung auch nicht leicht gemacht. Aber für mich persönlich ist es leichter so, auch wenn die Sorge, dass es mir irgendwann mal zum Nachteil gereichen könnte, sich nicht gänzlich aus dem Hinterkopf verdrängen lässt.
Die Kollegen fragen manchmal interessiert nach (und das finde ich auch gut, denn nur so lassen sich Missverständnisse und Vorturteile vermeiden), aber ansonsten spielt die MS in unserem Miteinander keine große Rolle. Wieso sollte sie auch? Und nur für den Fall, dass hier gerade Kollegen mitlesen, die jetzt zum ersten Mal von meiner MS hören: Bitte fragt jederzeit nach, falls Ihr etwas wissen möchtet. Ich bin ein offenes Buch. Ganz offensichtlich … ;)!
Wie handhabst Du das mit Deiner Arbeit, wenn Du einen Schub hast? Arbeitest Du dann von zuhause oder bist Du regulär krankgeschrieben, bis der Schub vorbei ist?
Zum Glück war ich bisher noch nicht in der Situation und kann daher nicht sagen, was ich täte. Das kommt sicher auf die genauen Umstände an. Wenn ich sehr erschöpft wäre, würde ich mich sicher krankschreiben lassen, wie man es bei jeder anderen Erkrankung auch täte, aber wenn ich zum Beispiel vorübergehend schlecht gehen (und damit auch fahren) könnte, spräche ja nichts dagegen, weiter zu schreiben. Und das könnte ich dann auch von zu Hause aus.
Gibt es allgemeine Empfehlungen der Ärzte zum Thema Kinderwunsch?
Es spricht medizinisch nichts dagegen, Kinder zu bekommen. MS ist keine Erbkrankheit, auch wenn das Risiko familiär leicht erhöht ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Schwester betroffen ist, ist allerdings deutlich höher, als die, dass meine Kinder es bekämen. Während einer Schwangerschaft ist das Schubrisiko für die Frau sogar deutlich geringer als sonst. Nach der Geburt ist es allerdings wieder erhöht. Es gibt diverse Programme, die MS-Patientinnen auf dem Weg zu einem Kind und auch danach betreuen. Und es gibt auch sehr viele Betroffene, die Kinder bekommen. Womit man sich allerdings natürlich auseinandersetzt, ist die Frage, wie gut man für seine Kinder da sein könnte und was die Erkrankung der Mutter (oder auch des Vaters) für sie bedeuten würde.
Hast du einen Kinderwunsch? Wie siehst du den Krankheitsverlauf in Bezug auf eine Schwangerschaft? Findest du es unverantwortlich, wenn man so eine Erkrankung hat, Kinder auf die Welt zu bringen?
Ich denke, dass jeder Betroffene selbst entscheiden muss, ob er Kinder haben möchte, und dass niemand sonst das be- oder verurteilen darf. Und ich denke auch, dass das eine sehr schwere Entscheidung ist, die man vor dem Hintergrund des eigenen Krankheitsverlaufs treffen sollte. Für mich selbst bin ich da noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen und ich scheue mich auch nicht zuzugeben, dass das für mich eine der schwersten Fragen in Bezug auf die MS ist. Aber ich bin auch einfach der Typ, der dazu neigt, so etwas zu zerdenken – MS hin oder her. Mir ist jedoch klar, dass ich diese Entscheidung irgendwann treffen muss, sonst habe ich sie unbewusst getroffen.
Wie können Freunde/Außenstehende die betroffene Person am besten unterstützen? Wie fühlst du dich von deinen Liebsten am besten unterstützt? Natürlich ist das immer sehr subjektiv, aber wie, denkst du, sollte man am besten damit umgehen?
Mein bester Tipp: Informiert Euch und interessiert Euch, stellt Fragen und lest vor allem auch eigenständig nach. Seid für die Person da, wenn sie es möchte, aber behandelt sie nicht dauerhaft wie ein rohes Ei. Gesteht Ihr zu, genauso zu sein wie jeder andere auch, aber erkennt und respektiert ihre Grenzen und lasst sie in Ruhe oder bietet (wenn nötig und gewünscht) Eure Hilfe an, wenn sie diese Grenzen erreicht hat. Das ist sehr theoretisch, aber der beste Tipp, den ich geben kann. Ihr könnt leider niemals nachvollziehen, wie es der betroffenen Person geht (und besser zieht Ihr auch keine Vergleiche), aber Ihr könnt bestmöglich versuchen, mit ihr umzugehen. Wie es dem Freund mit meiner MS geht, hat er übrigens letztes Jahr hier auf dem Blog erzählt.
Wie geht man mit der Angst vor der Zukunft um?
Das ist wohl bei jedem anders und es gibt kein Richtig und kein Falsch. Ich versuche, mich möglichst wenig von der Krankheit dominieren zu lassen, ohne sie gleichzeitig zu negieren. Sie spielt in meine Zukunftsüberlegungen hinein, manchmal sehr massiv wie bei der Kinderfrage, aber am Ende des Tages kann man nicht wissen, was als nächstes passiert – das kann man nie im Leben, und daher sollte man (wenn es einem möglich ist) sein Leben nicht hinter der Krankheit zurückstellen. Ich habe manchmal Angst, das gebe ich zu, aber das hatte ich auch schon vor der MS, denn ich bin grundsätzlich ein sehr ängstlicher Mensch. Ich würde, wenn ich darüber nachdenke, fast so weit gehen, zu behaupten, dass ich seit meiner Diagnose sogar entspannter geworden bin. Denn sie hat mich eines gelehrt: Man weiß nie, was morgen ist. Und leben kann man immer nur im Jetzt.
liebe fee, das ist wieder ein wirklich sehr lesenswerter und toller post geworden. wow, vor 4 jahren – so lange (und noch etwas länger, soweit ich mich erinnere) lese ich hier schon mit und auch deine verlinkten beiträge habe ich alle noch irgendwo präsent. ich bewundere deine einstellung und wie du gelernt hast, damit umzugehen. vermutlich ist das auch der bestmögliche weg, damit zu leben. erst gestern habe ich in einer meiner auf FB abonnierten zeitungen einen artikel über MS gelesen und die weit verbesserten behandlungsmöglichkeiten in den letzten jahrzehnten und an dich gedacht.
ich wünsche dir von herzen, dass du künftig von (schlimmeren) schüben verschont bleibst und du auch die frage nach kindern für dich aktiv beantworten kannst, ohne es die natur für dich beantworten lassen zu müssen.
klettern kann ich übrigens nur empfehlen. ich habe es wegen meinem rücken im herbst begonnen und bin da seither sehr aktiv dabei. solange habe ich es glaube ich tatsächlich noch nie geschafft, einen sport wirklich regelmäßig und mit spaß und ehrgeiz zu betreiben, bei dem kein ball im im spiel war 🙂 vielleicht ist das ja auch was für dich 🙂
Ich habe noch NIE einen Sport gefunden, der mich begeistern konnte ;)! Und Ballsportarten waren die schlimmsten, immerhin habe ich Angst vorm Ball :D! Aber wir werden sehen: vielleicht überrasche ich mich ja selbst…
Liebe Fee,
ein toller Text, herzlichen Dank dafür!
Tatsächlich habe ich kürzlich von der MS-Erkrankung einer langjährigen Bekannten erfahren und nehme Deinen Post als Anlass, am Wochenende ausführlicher über MS zu lesen. Dann kann man mit offeneren Augen durch die Welt gehen.
Ich kann übrigens auch nur sagen: Klettern ist super!
Für mich hat sich mit dem Schnupperkletterkurs vor 4 Jahren vieles verändert, denn dieser Sport ist meine große Leidenschaft geworden (außerdem gibt es jetzt schöne neue Klamotten in meinem Kleiderschrank, da die Muckis nicht in die alten Tshirts passen ;-))
Beim Klettern denke ich an nichts anderes, das ist genial.
Und ich mag das freundliche, offene Miteinander der Kletterer.
Ich bin gespannt, ob es auch etwas für Dich ist!
Unbekannterweise herzliche Grüße, mach weiter so mit Deinem Blog, ich lese gerne weiter still mit!
Christina
Es freut mich, wenn ich dich mit dem Post dazu animieren konnte, dich genauer zu informieren. Und wenn du noch Fragen haben solltest: Fühl dich frei :)!
Sind Sie vielleicht zu MS-Fortbildungen gegangen? Sie sind so perfekt informiert und könnten meine Kollegin sein.
Prima geschrieben. Ganz liebe Grüße von Ihrer MS-Schwester TT
Haha, nein, das Internet und diverse Broschüren sind und waren meine Fortbildung. Ich glaube, das passiert für viele Patienten einfach von selbst, man ist immer der beste Experte für sich selbst ;)!
Liebe Fee, ich habe sechs Jahre mit MSlern gearbeitet mit unterschiedlichen Verläufen. Und wie wahr: die Krankheit mit den 1000 Gesichtern. Einer meiner Boys hat es recht ähnlich wie du, frühe Diagnose, gleiche Medikation… Jetzt ist er fast 60 und springt immer noch wie ein junger Hund herum, er veträgt allerdings keine Kälte.
Was ich beobachten konnte, ist, dass bei Verkrampfungen THC-Präperate gut wirkten und bei der Blasen-Sache Hirtentäschel-Tee.
Ich wünsche dir von Herzen das Allerbeste, LG Uli
Keine Kälte … das ist interessant. Die meisten haben tatsächlich eher ein Probem mit höheren Temperaturen, wobei mir besonders hohe Luftfeuchtigkeit auf den Körper schlägt. Den Hirtentäschel-Tee merke ich mir. Auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wo ich so etwas herbekommen soll (oder was das überhaupt ist) ;)!
Liebe Fee,
danke für diesen tollen Post und Deine Offenheit, mit der Du mit Deiner MS umgehst!
Leider kann ich, nach mittlerweile 2 Schlaganfällen, Deine Beschreibung der Fatigue nur allzu gut verstehen und werde Deinen Artikel dazu auch noch einmal an den Lieblingsmenschen schicken, denn so anstrengend und einschneidend sie für den Betroffenen ist, so oft unverständlich ist dieser Zustand für das Umfeld, denn wirklich nachvollziehen, wie sich das anfühlt, kann kein Außenstehender.
Liebste Grüße aus München,
Sabine
Hallo Sabine,
zwei Schlaganfälle? Das tut mir leid. Kannst du etwas für dich tun, um weitere zu verhindern? Und dass du dabei ähnliche Beschwerden hast, kann ich mir lebhaft vorstellen. Wenn ich dir oder deinem Umfeld mit dem Post etwas helfen konnte, ist das für mich daher eine große Freude. Alles Liebe für dich <3
Vielen Dank für deine Offenheit, Fee. Ich finde es super, dass du das Thema immer wieder zum Thema machst!
Danke <3