Zeit ist etwas nur schwer Greifbares. In unserer westlichen Vorstellung und auch in der physikalischen Welt ist sie (zumeist) linear, hat keinen Anfang und kein Ende und schreitet unaufhörlich voran. Um sie besser greifen zu können, teilen wir sie daher in kleinere Zeiteinheiten. „Unsere Zeit“ ist begrenzt von Ereignissen, von Jahreszeiten, von Geburt und Tod, vor allem natürlich von Anfang und Ende unseres eigenen Lebens. In der Vergangenheit und auch in anderen Kulturen war und ist diese Eindeutigkeit nicht immer gegeben: die Zeit ist hier vielmehr ein immerwährender Zyklus, keine gerade Linie, sondern ein Kreis, der Anfang ist hier zugleich das Ende und umgekehrt. Um genau zu sein, ist auch uns diese Vorstellung auch nicht fremd. Wir nehmen sie wahr in den Tages- und in den Jahreszeiten, im Kreislauf des Lebens, der sich immer und immer wieder wiederholt. Auch unser Kalender kennt mit dem Januar einen eindeutigen Anfang und mit dem Dezember ein Ende und wir nehmen diesen Punkt dankbar als Neuanfang an, einen Termin, an dem, obwohl sich faktisch nichts ändert, alles wieder auf Null gesetzt wird.
Obwohl ich mir nichts aus Silvester und Neujahr und der Vorstellung eines damit einhergehenden Neuanfangs mache, ich niemals wirklich Vorsätze schließe und der Meinung bin, dass jeder Zeitpunkt des Jahres dafür geeignet ist, einen Schnitt zu machen, Dinge zu beenden oder andere anzufangen, kann auch ich nicht umher, den Januar als eine Stunde Null zu betrachten. In meiner Vorstellung jedoch ist das Jahr kein Kreislauf, vielmehr ist ein wenig wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Über Nacht ist man quasi wieder da, wo es losgeht. Es gibt keinen Übergang, vielmehr ist es so, als würde die Zeit zurückspringen. Ein neuer Kalender, unbeschriebene Seiten. Und das, obwohl man selbst immer älter wird und an den Bäumen die verblieben Blätter und Beeren aus dem Vorjahr hängen, während an anderen schon neue Blüten sprießen. Es geht voran, es geht zurück und irgendwie findet ziemlich vieles auch einfach gleichzeitig statt.
Zeit ist weniger objektiv als subjektiv, das merkt man auch am eigenen Zeitgefühl. Je mehr Neues man erlebt, desto langsamer scheint sie zu vergehen, je mehr Alltag und wiederkehrende Prozesse es gibt, desto schneller fliegt sie dahin. Zumindest ist es in der Rückschau so. Eine zweiwöchige Reise beispielsweise, mit vielen Eindrücken, erscheint rückblickend viel länger als gleichlanger Zeitraum voller Arbeitstage, die alle nach Schema F ablaufen. Der Kopf hat etwas, woran er sich festhalten kann und was er festhalten will, Dinge, die erinnerungswürdig sind, während Wiederholungen nicht mehr gespeichert werden, weil sonst der innere Speicher überlaufen würde. Widersinnigerweise fühlt es sich im Moment des Erlebens meist genau umgekehrt an. Während glückliche Momente in einem Augenblick vorüber zu sein scheinen, man sie kaum festhalten kann, erscheinen Phasen der Langeweile (sie hat ihren Namen schließlich zu Recht), des Immergleichen, der Traurigkeit oder des Schmerzes oft als kaum endend. Auch in Bezug auf ein nahendes Ende verhält es sich ähnlich. Je weniger man möchte, dass etwas vorübergeht, desto schneller ist das Ende da – und je mehr man es herbeisehnt, desto langsamer kommt es.
Solche Gedanken also kommen mir während eines Neujahrsspaziergangs im Park (bei dem auch diese Bilder entstanden sind). Während halb Deutschland noch in komatösen Katerzuständen ausharrt, denkt mein Kopf über die Zeit und ihre unausweichlichen Mechanismen nach. Vielleicht auch deshalb, weil das letzte Jahr in Anbetracht meines „neuen Lebens“ als Vollzeitangestellte gefühlt deutlich schneller vorbei ging, als noch die Jahre zuvor. Versteht mich nicht falsch, ich mag meine Arbeit, ich mag sie sehr. Aber am Ende des Tages sind die meisten doch eher uniform und verschwimmen in der Rückschau zu einer breiigen Masse aus Eindrücken, die kaum voneinander zu trennen sind. Wenn ich also einen Vorsatz schließen müsste, wäre es der, in 2017 bewusst ganz viel Schönes und Neues zu erleben, Dinge, die hängenbleiben, auch in Alltagsphasen und nicht nur im Urlaub. Ich bin schließlich mittendrin in meinem Leben und sollte es nicht einfach vorbeiziehen lassen. Zeit ist eine Bitch. Aber es gibt Mittel und Wege, sie zu überlisten.
Tolle Fotos und wahre Worte!
Mir geht es mit der Zeitwahrnehmung ähnlich, so wie wahrscheinlich vielen von uns.
Das kurze Innehalten, das bewusste Wahrnehmen von „wo bin ich gerade“, „was mache ich gerade“, „was ist um mich herum“, „was kann ich sehen/hören/riechen“ schafft es bei mir, dass ich manchmal die Zeit etwas langsamer laufen lassen kann.
Liebe Grüße, Frauke
Ja, das Bewusstsein im Augenblick spielt eine ganz große Rolle, da bin ich mir sicher. Meine Kamera ist mir eine große Hilfe dabei, Momente bewusster wahrzunehmen. Das finden manche komisch, weil sie die Kamera als Ablenkung, als Störer zwischen einem Selbst und dem Moment wahrnehmen, aber bei mir funktioniert es.
Mir fällt nur WOW zu diesem Post ein. Du hast das beschrieben, von dem ich wußte, dass ich es fühle aber nicht formulieren kann.
Liebe Grüsse Doris
Wenn es dich beruhigt: Nicht alles davon entstammt nur meinem Kopf. Die Formulierungen: ja. Die Zusammenhänge dahinter: Haben schon viele andere vor mir beschrieben. Ich habe es nur aus meiner Sicht zusammengefasst :)!
Das ist so unglaublich schön geschrieben, dass ich mir sogar ein Tränchen wegwischen musste als ich es las!
Oh wow, danke. Mit so einer Reaktion hätte ich bei diesem Post gar nicht gerechnet <3
du (bild)poetin, du…
<3
<3
ein wunderschöner beitrag, den ich zu 100% unteschreiben kann (mal wieder 🙂 ) mir geht es ganz genauso, auch wenn meine zeit als vollzeitangestellte schon ein wenig länger dauert und daher schon etwas mehr jahre in meiner erinnerung breiig verschwimmen. fotografie ist ein gutes mittel für mich, eine erinnerungsstütze, um sie dennoch auseinanderhalten zu können. ich versuche ähnliches wie du, immer wieder. mal gelingt es, mal scheitert man. das bewusste wahrnehmen der kleinen momente ist rückblickend jedoch irgendwie doch das große und wahre leben.
Ja genau, das habe ich auch schon gerade weiter oben in einer Antwort formuliert: Die Kamera is für mich auch ein weichtiges Mittel, um den Moment wahrzunehmen und mich vor allem später auch noch an Details zu erinnern, die sonst verloren wären… Und das wäre doch zu schade!
Wunderbare Worte auf einem wunderbaren Blog 🙂
Tausend Dank :)!
Schöne Worte und einfach wahnsinnig tolle Fotos.
Hab ein tolles neues Jahr voller Liebe, guten Freundschaften, Kreativität und Spaß und Fröhlichkeit.
Liebste Grüße
Eva
Ich danke dir! Und wünsche dir dasselbe <3
Ach ja, die Sache mit der Zeitwahrnehmung. Das ist schon etwas seltsam. Nun wenn man sich zwingt, kann man das Ganze manchmal überlisten… ich hoffe, dass 2017 ereignisreich und schön wird und gaaanz langsam vergeht.
Bis jetzt ist es gerast, aber erlebt habe ich trotzdem viel. Und das weiß ich zu schätzen <3
WOW.. Mir fehlen die Worte! Was für ein toller Post und die Bilder 😮 Weiter so!
Liebe Grüße
https://punktundstrichsite.wordpress.com/
Anders als weiter so kann ich auch gar nicht ;)!