Einen geführten Abendspaziergang im Zoo Dortmund wollte ich schon lange mal machen. Als selbsternannte Zootierporträtfotografin ist das ja eigentlich eine Pflicht für mich: Die Dokumentation „meiner Schützlinge“ abseits der Öffnungszeiten, wenn etwas Ruhe eingekehrt ist. In intimer Atmosphäre sozusagen. Und ungefähr so habe ich mir das Ganze vorgestellt: Leuchtende Tieraugen, die mir gespenstisch aus der Dunkelheit entgegenstarren. Und ich hautnah dabei, um das Spektakel in Bildern festzuhalten. Nun ja, zumindest hing ich dieser Vorstellung für circa eine Minute nach. Dann wurde auch mir klar, dass erstens nur „leuchten“ kann, was angestrahlt wird, dass ich für die Dokumentation zweitens ganz anderes Kameraequipment benötigen würde, als das, was mir zur Verfügung steht, und dass die Tiere drittens am besten auch noch zu Salzsäulen erstarren müssten. Unwahrscheinlich. Was mich jedoch nicht davon abhielt, so eine nächtliche Führung trotzdem auf die Agenda zu setzen, denn: Ohne (selbstauferlegte) Fotoverpflichtungen hätte ich vielleicht endlich mal Zeit, tatsächlich etwas zu lernen. Und wozu gibt es schließlich Photoshop ;)?
Wir treffen gegen 20:45 Uhr am Zoo ein, quasi überpünktlich angesichts dessen, dass es um 21 Uhr losgehen soll. Trotzdem warten schon circa fünfzehn andere Gäste vor dem Haupteingang. Kurz hatten wir im Auto noch spekuliert, ob wir wohl in den Genuss einer Privatführung kommen würden, schließlich ist für den ganzen Abend Regen angesagt. Aber Zoofreunde sind offensichtlich nicht aus Zucker. Irgendwie bin ich auch die Einzige, die einen überlebensgroßen Regenschirm mit sich herumschleppt. Natürlich nur zum Schutz meiner Kamera. Die ich trotz allem mitgeschleppt habe. Man weiß ja nie. Zoolotse Jan Klösters begrüßt unsere Gruppe. „Wer mag, hat jetzt zu Beginn noch mal die Gelegenheit auf die Toilette zu gehen. Was? Niemand? Das habe ich ja auch noch nie erlebt!“ Regensicher und blasenfest – eine expeditionserprobte Truppe, so wie es aussieht.
Wir halten uns am Eingang links, meine übliche Runde, die als erstes bei den Trampeltieren vorbeiführt. Normalerweise ein neugieriger Verein, berichtet Klösters, gerade um diese Zeit, wenn der Zoo bereits seit zwei Stunden ausgestorben ist. Aber es gibt Nachwuchs, ein namenloses Trampeltier-Mädchen, das noch einen Paten sucht, der es taufen darf. Vermutlich ist die Herde deshalb gerade etwas zurückhaltender. Ganz und gar nicht zurückhaltend sind dagegen die drei Stachelschweine, bei denen wir als nächstes vorbeischauen. Es sind nachtaktive Tiere und ich habe sie daher auch noch nie anders als schlafend gesehen. Jetzt aber kann ich bestätigen: Ja, sie leben. Und sie haben ein Gesicht. Das aussieht wie das eines überdimensionalen Meerschweinchens. Was aber auch nicht weiter verwunderlich ist, denn die beiden Nagetiere sind verwandt.
Das Regenwaldhaus, wo meine unangefochtenen Favoriten, die Orang-Utans, leben, lassen wir leider links liegen, denn dort finden gerade Renovierungsmaßnahmen statt. Die Netze, die Tiere und Besucher voneinander trennen und an denen die Menschenaffen tagein tagaus herumturnen, zeigen Ermüdungserscheinungen und müssen ausgetauscht werden. Denn, so kuschelig die Tiere auch wirken mögen, dass sie das Hindernis überwinden und plötzlich mitten zwischen den Gästen stehen, das kann keiner wollen. Ein paar Meter weiter gibt es dagegen wieder etwas zu sehen. Die Silberfasane haben Nachwuchs und genau der hockt, wie Hühnervögel das so tun, auf der Stange mitten im Käfig herum. Langsam wird es immer dämmriger und die braunen Jungvögel sind unter dem Blätterdach kaum noch zu erkennen. Das hell-weiße Gefieder von Papa Fasan hingegen strahlt in der beginnenden Dunkelheit. Ob die Küken männlich oder weiblich sind, zeigt sich übrigens erst nach der ersten Mauser. Als nächstes kommen wir an der Bäreninsel vorbei. Von Brillenbär Moritz ist zwar nichts zu sehen, aber dafür huscht ein Kaninchen über die Anlage. „Das wohnt hier schon seit Jahren“, lacht Klösters, „es traut sich allerdings nur nachts heraus und frisst die Reste. Von solchen freiwilligen Gästen haben wir hier übrigens einige. Die Gänse gehören ebenfalls dazu.“
Auch die Nasenbärenanlage wenig später ist verwaist. Die Kletteranlagen, die über die Wege führen, sind verlassen. „Vorsicht: Kot und Urin können herunterfallen“ steht groß auf einem Warnschild. Dass der Job als Zoolotse eindeutig auch pädagogische Elemente beinhaltet, bewies jüngst die Frage einer Nachwuchs-Zoobesucherin: „Wer sind denn Kot und Urin?“ Nun ja. Man kann ja nicht alles wissen. Gegenüber im Robbenbecken geht es trotz der fortgeschrittenen Stunde hoch her. Die Seelöwen haben einen neuen Chef und Diego zeigt den Damen gleich mal, wie der Hase läuft. Von links nach rechts scheucht er sie durch das Becken, während er lautstark sein Revier markiert und das Wasser gleich literweise in den Graben schwappt. Wüsste Diego, dass die Robben die teuersten Tiere in der Haltung sind, einerseits wegen des vielen frischen Fischs, andererseits aber auch wegen der 500.000 Liter Wasser, die jede Woche gereinigt und neu zugeführt werden müssen, würde er sich vielleicht etwas zusammenreißen. Obwohl. Wahrscheinlich doch nicht. Immerhin nimmt er seinen Bildungsauftrag ernst. Von wegen „Heute keine Vorführung“!
So langsam wird es immer dunkler. Als wir bei den Amurleoparden ankommen, muss Klösters das erste Mal seine Taschenlampe einschalten. Trotzdem sind die Tiere nur schwer zu entdecken. Weibchen und Männchen leben getrennt, da eine Zusammenführung vor einiger Zeit gescheitert ist. Das ist bedauerlich, da die Tiere so nicht im Rahmen von Zuchterhaltungsprogrammen zum Überleben der Rasse beitragen können. Mittlerweile gibt es leider mehr Amurleoparden in Zoos als in freier Wildbahn. Mit nur noch circa 70 freilebenden Exemplaren gehören sie zu den am stärksten vom Aussterben bedrohten Tierarten überhaupt. Trotzdem: In den letzten Jahren hat sich ihre Zahl wieder vermehrt und Naturschützer bemühen sich weiterhin um einen Aufbau der Population.
Bei Luchsen ist die Arbeit bereits fortgeschrittener. Nachdem die Bestände bis Mitte des letzten Jahrhunderts in Westeuropa ausgerottet wurden, ist die Zahl der Tiere durch Einwanderung und gezielte Wiederansiedelung mittlerweile wieder gestiegen. Im Dortmunder Zoo leben vier Exemplare, im zweitgrößten Gehege überhaupt. Durch den großen Freiraum und den geringen Kontakt mit Menschen, denn das Futter wird einfach über den Zaun geworfen, ist eine Auswilderung hier potentiell aber auch deutlich einfacher zu realisieren, als bei den asiatischen Großkatzen. Plötzlich raschelt es am Zaun direkt vor uns. Mit bloßen Augen ist kaum etwas zu erkennen, aber im Schein der Taschenlampe zeigt sich: Ein Luchs hat sich herangeschlichen und starrt uns nun neugierig an. So nah habe ich die Tiere hier noch nie gesehen. Selbst mit Zoomobjektiv waren sie kaum zu erwischen. Im Schutz der Dunkelheit jedoch traut sich ein männliches Exemplar bis auf weniger als zwei Meter heran. Fotografieren kann ich ihn trotzdem nicht, denn er bewegt sich zu schnell. Und dann ist er auch schon wieder im Schatten verschwunden. Es stimmt eben doch: Nachts sind alle Katzen grau…
Deutlich posierfreudiger zeigen sich wenig später die Nebelparder. Während Mutter und Kind im Hintergrund herumtollen, chillt Papa Parder entspannt auf einem Ast. Fast wirkt es ein bisschen menschlich, wie er uns mit auf die „Ellbogenbeuge“ gestütztem Kopf so anschaut. Auch diese nachtaktiven Tiere habe ich tagsüber höchstens mal als gepunktetes Knäuel am anderen Ende des großen Geheges vor sich hinschlummern sehen. Schon spannend, was man so zu sehen bekommt, wenn man nur mit einer Handvoll Leute umherstreunt. Ganz anders als sonst, wenn kreischende und tobende Kinder um einen herumspringen und leider nicht selten auch vor die Scheiben hämmern. So eine nächtliche Führung lässt sich nicht planen, erzählt Klösters, denn natürlich ist er auf die „Mitarbeit“ der Tiere angewiesen. So ergibt es sich immer erst im Laufe des Spaziergangs, wo Schwerpunkte liegen und wo man sich länger aufhält. Und unser Schwerpunkt sind heute ganz eindeutig die Nebelparder. Mittlerweile ist auch das Männchen aktiv geworden. Zusammen mit dem Rest der Familie, das kleine Mädchen ist erst im März geboren, turnt er nun direkt über unseren Köpfen auf den Scheiben herum. Das Foto der Tatze muss ich direkt bei Instagram raushauen und trotz der Tatsache, dass es Freitagabend um kurz vor halb Elf ist, lassen die Zuneigungsbekundungen nicht lange auf sich warten. Die Nebelparderliebe ist allgegenwärtig. Verständlich.
Doch wir müssen weiter. Eigentlich ist unsere Zeit bereits abgelaufen, denn eine Führung dauert durchschnittlich 90 Minuten. Es geht vorbei an den Guanakos, die ich bisher immer für Vikunjas gehalten habe. Sei es drum. Ich bin kein Biologe und die beiden Lamaarten sehen sich verdammt ähnlich. Ist wahrscheinlich aber auch besser, dass wir nicht anhalten, denn die Tiere sind auf Krawall gebürstet. Während sie tagsüber eigentlich immer nur träge herumsitzen und in Dauerschleife Gras zu Mus zermalmen, pesen sie nun wie von der Tarantel gestochen durchs Gehege und geben laute gurgelnd-prustende Geräusche von sich. „Halten Sie besser Abstand“, warnt uns Klösters, „Guanakos treffen auf mehrere Meter entfernt zielgenau. Und das ist nicht nur Speichel, das ist Mageninhalt. Im Prinzip werden Sie angekotzt!“ Alles klar. Klingt unschön. Also weiter.
Die Tatsache, dass er theoretisch bereits im Feierabend ist, hält unseren Guide nicht davon ab, noch mal eben mit uns im Tamanduahaus vorbeizuschauen, wo auch die zwei Faultiere Julius und Evita wohnen, die gerade mit namensuntypischem Eifer bei der Nahrungsaufnahme sind. „Vertun Sie sich nicht“, rät der Zoolotse, „Faultiere sind nicht ganz so behäbig, wie man landläufig meint. Julius zum Beispiel klaut Besuchern auch gerne mal Hüte oder Sonnenbrillen vom Kopf. Und ein Kameraobjektiv, das ihm zu nahe kommen wollte, musste auch schon mal dran glauben.“ Instinktiv rücke ich einen halben Meter weiter zurück. Aber meine Fotos wollen ohnehin nicht gelingen. Selbst mit Taschenlampenunterstützung ist es mittlerweile zu dunkel, um noch was Gescheites zu produzieren.
Vorbei an Antilopen, Jaguaren und im Hintergrund romantisch quakenden Fröschen geht es zu unserer letzten Station. Im Löwenhaus wird sogar extra für uns noch mal das Licht angeschaltet. Zunächst ist nichts von Lolek zu sehen. Der junge Löwe ist das letzte verbliebene Exemplar in Dortmund, seit vor einiger Zeit seine Mutter Moreni nach einem Angriff ihres Sohns während einer Zusammenführung verstorben ist. So etwas gehört in der Natur aber dazu und kann auch in Zoos, so umsichtig solche Situationen auch gehändelt werden, leider nicht immer vermieden werden. Während Klösters uns noch vom Verlust des Tiers berichtet, ist Lolek auf einmal unbemerkt in den Raum gekommen, hat sich hinter uns niedergelassen und beobachtet die nächtlichen Gäste. Für ein paar Minuten sitzt er bis auf ein gelegentliches Gähnen unbewegt da. Dann steht er auf und bewegt sich majestätisch in Richtung Ausgang. Und mit einem lauten Brüllen verschwindet er in der Nacht.
Wer den Zoo Dortmund ebenfalls mal aus einer ganz anderen Perspektive erleben möchte, hat dazu übrigens jeden Monat die Gelegenheit. Der nächste Termin ist am 17. Juli. Eine Woche früher findet sogar eine Mitternachtsführung statt. Beides kostet pro Person 15€, Eintritt in den Zoo inbegriffen. Angesichts der Tatsache, dass die Eintrittsgelder in Dortmund (Normalpreis 8€) gerade mal ausreichen, um die Gehälter der Angestellten zu begleichen, und die Nebenkosten, das Futter und sonstige Ausgaben von der Stadt und von Spenden getragen werden, finde ich das einen mehr als angemessenen Preis. Ich habe mich einerseits sehr gut unterhalten und andererseits sehr gut informiert gefühlt. Das mache ich bestimmt bei Gelegenheit noch einmal.
EDIT 30.06.2015: Das Facebook-Team des Dortmunder Zoos war nicht nur so nett, meinen Post zu teilen, sondern hat mich auch (ganz im Sinne des Bildungsauftrags ;)) auf zwei kleine Fehler hingewiesen. Finde ich gut. Und weil man ja nie auslernt, werde ich das im Text selbst nicht verbessern, sondern hier als Zitat ergänzen: „Lediglich bei Haustieren spricht man von „Rassen“. Ansonsten sind es Arten (z. B. Leopard oder Tiger). Der Amurleopard ist somit keine Rasse, sondern eine Unterart des Leoparden. Vikunjas und Guanakos sind keine „Lama-Arten“, sondern das Lama wurde aus dem Guanako gezüchtet. Guanakos, Lamas, Vikunjas und Alpakas gehören, wie auch Trampeltiere und Dromedare, zu den Kamelen.“ – Danke, jetzt sind wir alle NOCH klüger. Perfekt.
Dieser Post erschien zuerst auf „Dortmund überrascht. Dich“ – der Website zur gleichnamigen Imagekampagne. Für die Erstellung habe ich ein Honorar erhalten. Die zusätzliche Veröffentlichung hier erfolgt aus freien Stücken. Einfach weil ich glaube, dass es Euch auch interessiert :)!
Zum Thema passend bin ich überrascht, denn von den Nachtführungen wusste ich auch noch nichts. Das wäre doch mal was für den Mann zum Geburtstag…danke!
LIebe Grüße, die N-Heidi
diese führungen klingen ja besonders spannend 🙂
tolle katzen-bilder! der löwe is voll schick 🙂
lolek, der löwe! <3
Boa, toll die Miezekatzen
*schnurr*
Viele liebe Grüße
Franzy
Das war bestimmt interessant. Wir waren in Singapur mal in einem Nachtzoo, das war so toll. Wenn man eine Weile in den Gehegen steht nimmt man mit der Zeit immer mehr wahr. Eine Nachtführung in Dortmund werde ich mal auf unsere Liste setzen.
Liebe Grüße, Kirsten
Ein Nachtzoo? Das klingt ja spannend. Nicht, dass ich in nächster Zeit einen Trip nach Singapur planen würde, aber ich merke es mir trotzdem mal ;)!
Oh, das muss ich mir gleich mal aufschreiben, bin nämlich in sieben Wochen in Singapur…
Belinda
Schöne Bilder (trotz Photoshop – wo?) und schöne Story, leider bissel weit weg. Ach, der Leipziger Zoo ist ja auch ganz schön. 😉
Liebe Grüße, Claudia
Das erste Bild natürlich ;)! Ich habe ein Bild genommen, dass ich tagsüber aufgenommen habe und alles außer die Augen mit einer dunklen, semi-transparenten Schicht überzogen. Der Rest ist "echt"…
Hat spaß gemacht, deine Geschichte zu lesen!
In Berlin war ich auch mal zu so eine Abendführung. Da kam man auf Stellen die normal nie zugänglich sind, so konnte ich durchs Gitter (5cm dicke Stangen in 20cm Abstand!!) den Nashorn streicheln; der war viel weicher als er aussah!
LG
jojo
Sowas ist super, wenn man quasi noch hinter die Kulissen kommt. Aber auch so war der Spaziergang in Dortmund schon echt ein Erlebnis…
finde ich superschön, den post. bei uns in wien gibt es solche führungen auch und ich denke, ich will das auch gern mal machen.