Immer diese furchtbaren Regeln. Noch schlimmer, wenn sie selbstauferlegt sind. Zum Beispiel die, dass ich mich pro Post auf plus minus zwölf Fotos beschränke, einfach aufgrund der besseren Verdaulichkeit in kleinen Häppchen. Aber ich komme nicht mehr hinterher. So viel möchte ich Euch noch zeigen, so viel lagert noch in meinem digitalen Fotoarchiv. Also werfe ich meine eigene Regel einfach gepflegt aus dem Fenster. Gent ist so schön und es gibt noch so viel zu sehen. Warum solltet Ihr darauf verzichten? Also gibt es jetzt die volle Dröhnung. Ungefiltert. Alles muss raus.
Gent vom Boot aus entdecken
So ziemlich jede von Wasser durchzogene Stadt lässt sich hervorragend vom Boot aus erkunden. Das eröffnet einfach noch mal neue Perspektiven. Auch auf die eigene Belastbarkeit. Zumindest wenn man genauso leicht seekrank wird wie ich. Und ich kann Euch sagen: Das hier geht klar. Und ich bin im Normalfall so schnell grün im Gesicht, so schnell kann der Bootsführer noch nicht mal den Motor anlassen. Für einen ersten Eindruck ist so eine kleine Rundfahrt jedenfalls perfekt, vor allem, da man schon erste Infos darüber bekommt, was da am Ufer alles so rumsteht.
Die Ankerplätze der kleinen Reedereien sind alle zentral am Ufer der Leie verteilt. Manche fahren offen, manche geschlossen, da müsst Ihr Euch ein bisschen umschauen. Wir entscheiden uns trotz recht frischer Temperaturen Ende Januar für die offene Rundfahrt – besser frieren als doofe Spiegelungen auf den Fotos. Außerdem sind wir harte Säue. Zumindest für circa 20 Minuten. Danach nicht mehr so. Aber egal. Für die innere Wärme gibt es für die anderen beiden Damen Sekt, ich rede mir meinen Orangensaft warm. Die Preise liegen übrigens bei allen Anbietern so um die 7€ pro erwachsene Nase. Das ist völlig ok. Ansonsten gibt es auch noch HopON-HopOFF-Boote, die man für 12,50€ pro Tag benutzen kann. Persönlich finde ich die Variante mit kleiner integrierter Stadtführung aber sympathischer. Falls Ihr (so wie wir) auch auf tolle Fotos aus seid: Besser nicht während der Dämmerung losfahren. Bewegung und wenig Licht stressen selbst die leistungsfähigste Kamera. Aber das wisst Ihr sicher bereits. Und Ihr denkt vorher nach. Nicht so wie wir ;)!
Street Art gucken mit der Concrete Canvas Tour
Mögt Ihr Street Art? Dann seid Ihr richtig in Gent. Ich mag Street Art, sofern man das so pauschalisieren kann, habe davon allerdings ungefähr so viel Ahnung wie von bemannter Raumfahrt. Aber das macht ja nichts. Man kann ja auch Astronaut werden wollen, ohne selbst eine Rakete zu konstruieren. Oder so ähnlich. Jedenfalls gibt es jede Menge Street Art in Gent. Wenn man durch die Stadt läuft, begegnen einem immer mal wieder bunte Murals, Stencils, Sticker und was es da sonst noch so für Spielarten gibt. Ich kenne die wenigsten Künstler mit Namen, aber einen kenne ich (und bewundere ihn sehr für seine monochromen, realistischen Arbeiten von meist regionalen Wildtieren): ROA. Und ROA kommt sogar aus Gent. Insgesamt gibt es aktuell vier Bilder von ihm in seiner Heimatstadt, wovon wir während unseres Kurztrips leider nur den Raben gefunden haben.
Wenn man das Ganze strategischer angehen möchte, kann man sich bei der Auskunftsstelle des Fremdenverkehrsamts der Stadt Gent einen Plan für die „Concrete Canvas Tour“ holen. Darin sind insgesamt 52 Kunstwerke verzeichnet, die man dann ablaufen kann, wenn man möchte. Oder auch mit dem Fahrrad abfahren. Die Gesamtstrecke umfasst 14,5km, eine kürzere Variante mit 32 Arbeiten ist 7,5km lang. Das kann man schon mal machen. Man muss allerdings auch damit rechnen, dass man manchmal etwas suchen muss, denn nicht alle verzeichneten Werke sind wandfüllend ;)!
Ansonsten kann man auch noch in der Werregarenstraat vorbeischauen. Die kleine Gasse ist von der Stadt offiziell zum Sprayen und Kleben freigegeben und wird daher auch Graffitigasse genannt. Das Aussehen der Wände ändert sich ständig. Wer es bunt mag, ist hier richtig. Und mit etwas Glück kann man den Nachwuchs-Street-Art-Künstlern auch bei der „Arbeit“ über die Schulter schauen.
Schaufensterbummel der etwas anderen Art
Schaufensterbummel ist wahrscheinlich ohnehin total „20. Jahrhundert“. Oder macht das heutzutage noch jemand? Aber zu der absolut anachronistischen Idee des Schaufensterbummels an sich kommen in Gent auch noch haufenweise total anachronistische Läden. Und ich finde das großartig. Klar gibt es auch die großen Ketten und die Einkaufstempel moderner Konsumkultur, aber es gibt eben auch noch total viele, süße kleine Einzelhändler, denen man ins Fenster starren kann.
Klar, am besten geht man rein und kauft auch was. Aber manchmal machen Zeit und Geldbeutel einem da einen Strich durch die Rechnung und dann macht auch der Blick von außen in die Auslagen glücklich. Zumindest den Betrachter. Von klassischen Verbrauchsgütern über Kuriositäten bis hin zu Souvenirs – hier wird einem nicht langweilig. Besonders die kleinen Lebensmittelgeschäfte haben es mir angetan. Gerade in der Altstadt findet Ihr einige echte Einzelhandels-Schätze. Mir hat es aus absurden Gründen besonders die Metzgerei „Zwaernepoel“ angetan – mit über 160 Jahren Geschichte ist das der älteste Laden im „Donkersteeg“ (dunkle Gasse), wo Ihr in unmittelbarer Nachbarschaft der Sint-Niklaskeerk und des Belfrieds unzählige hübsche Läden bewundern könnt…
Nicht nur gucken, sondern auch reingehen lohnt sich vor allem auch beim historischen Senfladen Tierenteyn am Groentemarkt. Dort wird Senf noch in großen Holzfässern gelagert und mit einer Riesenholzschaufel in Gläser oder (noch besser) in klassische Steinguttöpfe gefüllt. Die kann man dann, wenn sie leer sind, wieder mitbringen und neu auffüllen lassen. Außerdem gibt es die tollsten Aromen und Gewürze und viele internationale Spezialitäten. Lohnt sich.
Ach ja, Schokolade gibt es ja auch. Zum Beispiel bei Yuzu.
Die Belgier sind bekannt für ihre Pralinen. Pralinengeschäfte gibt es hier wie überall in Flandern wie Sand am Meer. Man kann sich durch alle durchprobieren und kugelrund wieder nach Hause fahren oder man lässt sich von den „Locals“ gleich ein Highlight empfehlen. Und dieses Highlight ist „Yuzu“ in der Walpoortstraat 11/A. Der studierte Archäologe Nicolas Vanaise hat seinen Laden erst 2003 eröffnet, inspiriert durch seine Liebe zu Japan und Schokolade. Hier ist optisch alles etwas minimalistischer als anderswo, aber der Geschmack seiner Kreationen ist alles andere als reduziert. Besonders die Geschmacksrichtungen mit Tabak haben es mir angetan. Klingt im ersten Moment vielleicht gewöhnungsbedürftig, schmeckt aber absolut nicht so, als würde man einen Aschenbecher auslecken, sondern seeehr lecker. Großes Pralinenliebhaberehrenwort. Aber auch alles andere ist wirklich hervorragend. Nur „Trüffel“ hat mich in die Irre geführt. Hier handelt es sich nämlich um die „richtigen“ Trüffel – Trüffel der Marke „sauteurer Pilz, dessen Relevanz für die Haute Cuisine ich persönlich nicht im geringsten nachvollziehen kann“. Und den brauche ich absolut nicht in meiner Schokolade. Aber die Geschmäcker sind verschieden. Ich bin sicher, für andere ist das die Krönung.
Läufste viel rum, kannste auch viel sehen
Städte wie Gent erlebt man am besten zu Fuß. Indem man läuft und läuft und läuft. Überall gibt es etwas zu sehen. Alle drei Meter bleibt man stehen, um erneut eine postkartenwürdige Ansicht aufs Foto zu bannen. Vor allem viele tolle, alte Gebäude. Wikipedia sagte dazu: „Ein Großteil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bausubstanz ist erhalten: Gent zählt mehr als 9800 registrierte, kulturhistorisch wertvolle Gebäude, die meisten sind gleichzeitig auch denkmalgeschützt. Dabei konkurriert die Stadt als Fremdenverkehrsziel mit dem touristisch bekannteren Brügge.“ – Ich frage mich: Wieso konkurrieren? Beide Städte haben ihren ganz eigenen Charme. Brügge ist wunderschön. So schön, dass es einem schon fast irreal erscheint. Fast wie ein mittelalterliches Disneyland. Tagsüber ist es von Touristen bevölkert, aber nachts ist es ein wenig ausgestorben. Das circa doppelt so große Gent dagegen erscheint lebendiger. Hier sind mehr junge Leute unterwegs und entsprechend moderner geht es zu. Und gleichzeitig gibt es unglaublich viel zu sehen. Und da muss sich Gent ganz sicher nicht hinter Brügge verstecken…
Da sind natürlich die ganzen historischen Gebäude, unter anderem die „drei Türme“ der St.-Niklas-Kirche, des Belfried und der St.-Bavo-Kathedrale. Außerdem steht da noch so ein Big Ben Verschnitt rum, von dem ich irgendwie nicht rausgefunden habe, wie er heißt und wozu er gehört. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu doof zum Googeln. Und vermutlich hat es mir sogar jemand gesagt und ich habe es nur vergessen. Sei es drum. Eigentlich ist es auch gar nicht so wichtig, dass man weiß, wie alles heißt. Hauptsache, man findet es schick. Zeit uns irgendwelche Sehenswürdigkeiten näher anzuschauen, hatten wir ohnehin nicht. Dabei wäre es durchaus interessant gewesen, sich zum Beispiel mal den berühmten Genter Altar der Brüder van Eyck in der St.-Bavo-Kathedrale anzusehen. Oder die Stadt von oben. Hat nicht geklappt. Aber (und ich bemühe hier mal meinen Standardspruch): Man braucht ja immer einen Grund, um wiederzukommen ;)!
Gar nicht alt, aber auch sehr sehenswert, ist die Stadthalle von Gent. Erst vor wenigen Jahren wurde das moderne Bauwerk genau zwischen die St.-Niklas-Kirche und den Belfried gesetzt. Das fanden wohl einerseits die Unesco (als Verwalterin des Weltkulturerbes), andererseits aber auch viele Bürger der Stadt anfangs gar nicht so knorke. Mit vier massiven Eckpfeilern aus Beton und einer asymmetrischen Dachkonstruktion aus Holz und Glas bricht das Bauwerk auch recht deutlich mit der historischen Atmosphäre des Platzes (ausschnittweise zu sehen links über dem letzten Textabsatz und genau darunter). Mittlerweile jedoch haben die Bewohner der Stadt die Halle wohl in ihr Herz geschlossen und die Architekten Paul Robbrecht, Hilde Daem und Marie-José van Hee kamen damit sogar ins Finale des von der Europäischen Union unterstützten Mies-van-der-Rohe-Preises. Und mir gefällts auch. Wenn das mal kein Ritterschlag ist. Und es gibt noch so viel mehr zu sehen: Alte Gilden- und Bürgerhäuser, die große Fleischerhalle, verschiedenste Museen, den alten Hafenbereich rund um Korenlai und Graslei, die Grafenburg, die einfach mitten in der Stadt rumsteht, und und und…
Diejenigen fragen, die wissen, wovon sie reden
Stadtführungen oder sowas sind eigentlich voll nicht mein Ding. Ich laufe lieber alleine los, entweder mit meinem Reiseführer in der Hand oder aber aufs Geratewohl, in meinem eigenen Tempo. Seit Gent weiß ich aber: Mit dieser Einstellung kann man auch etwas verpassen. Denn ohne Johan und Annemarie wäre Gent wohl nur halb so lustig gewesen. Annemarie kann man als Stadtführerin buchen und Johan arbeitet beim Fremdenverkehrsamt in Gent. Und beide sind echte Unikate. Weitgereist, aber in die Heimat zurückgekommen. Sie haben viel zu erzählen, von der Welt, aber auch von Gent. Johan steckt voll von lustigen Anekdoten, immer mit einem schelmischen Blitzen im Augenwinkel. Und Annemarie ist die bemerkenswerteste 70-Jährige, die mir je untergekommen ist. Das Tempo, was die vorlegt, muss man erst mal halten. Und zwar auch im Kopf. Ich winke an der Stelle mal rüber nach Flandern. Ihr Zwei wart super, vielen lieben Dank dafür.
Spiegelungen fotografieren
Okay, das ist ein Tick von mir. Und bei weitem auch nicht auf Gent beschränkt. Aber die Kanäle, die sich durch die Stadt ziehen, eignen sich einfach ganz hervorragend für Spiegelungsfotoarien. Einfach jede Stadt sollte am Wasser liegen. Denn Schönheit ist gespiegelt doppelt so schön.
Und wenn Euch Spiegelungen bei Tag zu langweilig sind, fotografiert sie doch einfach bei Nacht. Die spiegelnden Lichter geben der Szenerie noch mal einen ganz anderen Zauber. Da ist es auch egal, wenn das Wasser nicht so still liegt wie bei Tage. Dafür tanzen die Lichter dann auf den kleinen Wellen. Und wenn Ihr bei dem ganzen Gerenne und dem vielen Input hungrig geworden seid: Wo man in Gent lecker essen kann, das habe ich hier bereits erzählt…
Es ist schon komisch: Immer erst, wenn ich alles über eine Reise verbloggt habe, habe ich das Gefühl, dass sie richtig vorbei ist. Und dann werde ich plötzlich ein bisschen wehmütig. Vielleicht hätte ich „die Reste“ doch noch auf zwei Posts strecken sollen, dann würde sich das jetzt noch nicht so endgültig anfühlen. Aber die nächste Reise kommt bestimmt. Und sicher auch mal wieder eine nach Flandern. Und Euch nehme ich dann natürlich wieder mit. Ehrensache.
Vielen Dank an Tourismus Flandern-Brüssel für die Einladung nach Gent. Meine Begeisterung ist natürlich wie immer meine eigene und die rät mir gerade, unbedingt bald wieder nach Flandern zu fahren. In Antwerpen war ich schließlich noch nicht. Ich schaue mal in den Kalender…
P.S. Mit diesem Beitrag nehme ich am Flandern Blog Award 2015 teil.
Die volle Dröhnung geht in diesem Falle klar. War ein Genuss – auch der Text.
Liebe Grüße
Christiane
Bor, ich kenne solche Regeln. Total bekloppt! Aber die meisten unserer Regeln sind ja von uns selbst auferlegt, nicht wahr?! So, break the rules! Haha:)
Und auch schöne Fotos& Antwerpen kann ich sehr empfehlen.
Ach ich freu mich schon so! Wir sind bald in Gent und Brügge. Zwar jeweils nur ein paar Stunden, aber ich danke dir schon mal für die vielen Tipps!
Toller Bericht, aber Gent ist auch eine einnehmende Stadt, die einem in den Bann zieht.
Herrlich – und genau richtig!
Über Pfingsten fahre ich mit meiner Freundin auch nach Gent. Wir übernachten in Brüssel und von da aus geht es nach Gent und Antwerpen – wir sind schon mächtig gespannt!
Liebe Grüße … Frauke
ich glaub, ich muss gent echt mal auf meine liste setzen 😀 so schöne bilder!
ich fahr heut' ja auch mitm boot (bloß durch berlin eben) – ich mag das, hab aber auch nicht deine schaukelsorgen… die spiegelungen sollten mehr beachtung bekommen – ich vergess das manchmal. vielleicht überleb' ich regenszenarien besser mit pfützenfokus 😀
Geniale Bilder, da schaut man sich gerne mehr als zwölf an 🙂 Macht definitiv Lust auf Gent! Viele Grüße, Isabelle
Gent steht schon lange ziemlich weit oben auf unserer Reisewunschliste und ist durch Deinen Bericht noch weiter nach oben gerutscht, liebe Fee. Danke für die tollen Tipps und die noch tolleren Fotos.
Das freut mich. Die Reise lohnt sich auf jeden Fall!
Was für geile Bilder und wie klasse gemacht, die ganze Seite! Herzlichen Glückwunsch dafür! Macht sofort Laune, den Koffer zu packen!! Gruß, Uschi Neugebauer
Herzlichen Dank. Sowas hört man doch gerne <3